Ein Song für Bremen
Am 5. Mai 2014 feierte die CD „Ein Song für Bremen“ Premiere im Rathaus. Wir haben hineingehört und uns so unsere Gedanken dazu gemacht.
Tim Borowski gefällt es. Bürgermeister Böhrnsen auch. Und über 800 Facebookfreunden. Es geht ja auch wirklich um eine gute Sache: mit Hilfe eines netten Liedchens sollen Erlöse für die Aktion „Ein Zuhause für Kinder,“ die sich gegen Kinderarmut einsetzt, erwirtschaftet werden.
Finden wir auch gut.
Allerdings stellte sich uns in der Redaktion die Frage: Haben die das Lied überhaupt gehört? Micha Wagner, der Interpret und Schöpfer dieses Songs, scheint seine Fans zu haben, egal ob Osterwiese oder Stadtfest Delmenhorst, ein Hans-Dampf in allen Gassen, mit Lederhose, bayrischem Filzhut und norddeutschem Patriotismus. Es lebe die Volksmusik.
„Bremen du bist die Stadt aus der ich bin, bist für mein Herz ein Reingewinn“,
trällert er, diesmal auch ohne seine Krachlederne, weil nicht hanseatisch genug. Wer denkt, dass hier an der Tiefe der Bedeutung und der Schönheit des Reimes noch ein bisschen hätte gefeilt werden können, hat noch nicht die folgenden Strophen gehört:
„[...] Auch die Stadtmusikanten waren der Wahn, bestehend aus 'nem Esel, Hund und Katze und Hahn.[...]“
Immerhin, ein reiner Reim, das muss man ihm lassen, hätte die Gerti aus der zweiten Klasse auch nicht besser machen können. In der nächsten Strophe wird es geradezu elaboriert durch den Einsatz von Fremdwörtern:
„[...] und willst du was erleben, dann plane mit Bravour, mit Kassler, Kohl und Würstchen, ne Kohl- und Pinkel Tour. [...]“
Man sieht ihn förmlich vor sich, den Alleinunterhalter an seinem Keyboard, der das ganze besoffene Dorffest zum Schunkeln bringt.
Aber ist es wirklich das, womit wir uns als Land Bremen präsentieren möchten? Oberbürgermeister Böhrnsen unterstützt die Aktion, lädt Wagner sogar zur „großen“ CD-Premiere ins Rathaus ein. Ob ihm das Lied wirklich gefällt, oder ob seine Pressesprecher ihn nur um des guten Zweckes Willen dort abgestellt haben? Aber selbst dann bleibt die Frage:
Muss mit einem gutem Zweck gleichzeitig eine qualitative Carte Blanche verbunden sein? Und macht es einen zu einem schlechten Menschen, wenn man sich über die Qualität von etwas beschwert, das armen kleinen Kindern zu Gute kommt und dabei noch die Liebe zur eigenen Stadt unterstreicht?
Aber noch ist es ja auch gar keine Bremen-Hymne, lenkt Böhrnsen ein: „Ob es zu einer wird, entscheiden alleine die Bürger“, womit er sich vor allem vor den Anschuldigungen zu retten versucht, die seitens der Zentralstelle für Gleichberechtigung aufkommen. Die findet nämlich das dazugehörige Video mit den leicht bekleideten Tänzerinnen unerhört sexistisch. Dabei hatte sich der Micha doch solche Mühe gegeben und extra über einen Facebook-Aufruf nach schicken Tänzerinnen gesucht. Auch wenn die Produktions- und Vermarktungsgesellschaft Meth-Media die Kritik für unnötig und lächerlich befindet, ist das Video schon am Tag nach der Premiere von jeglichen Plattformen verschwunden. „Man wolle es noch mal überarbeiten, um niemanden auf die Füße zu treten.“
Verstehen Sie uns nicht falsch. Wir sind für jegliche Unterstützung, die Kinder bekommen können, und möchten Sie auf gar keinen Fall vom Spenden abhalten. Aber Fakt ist doch: Was hätte man mit diesen Partnern und dieser Publicity alles erreichen können, vielleicht mit einem Lied, dass tatsächlich gefällt und gerne gesungen wird?
Wobei die Frage im Raum bleibt: brauchen wir Bremer überhaupt eine Bremen-Hymne? Ist es nicht gerade die selbstverständliche Weltoffenheit, Liberalität und Toleranz, die durch den jahrhundertelangen Überseehandel unsere Stadt geprägt hat und es bei allen Vorteilen, die Bremen durchaus hat, unnötig macht, uns über andere stellen zu wollen? Gerade deswegen dürfte jedem echten Bremer die zweite Zeile des Refrains ein großer Dorn im Auge sein:
„Bremen, du bist viel besser als der Rest der Welt ...“
Die St. Matthäus-Gemeinde, die Initiatoren der Aktion „Ein Zuhause für Kinder“, sind zwar auch nicht gerade für ihre Toleranz bekannt, sammeln aber immerhin für einen wirklich guten Zweck. Das Angebot, das durch diese Spenden unterstützt wird, umfasst unter anderem ein Kinder- und Jugendzentrum, einen Indoor- und einen Outdoorspielplatz, eine Zukunftswerkstatt und ein umfangreiches Betreuungsangebot in Bremen-Huchting, ein Stadtteil, in dem jedes dritte Kind aus sozial schwachen Verhältnissen kommt.
So bleibt uns nur, Sie an dieser Stelle zu bitten: lassen Sie sich von Micha Wagner nicht irritieren und spenden sie trotzdem. Wir versprechen ihnen auch, dass sie dafür nicht das Lied kaufen müssen.
Spendenkonto: Ein Zuhause für Kinder
Ktnr.:12228292 BLZ: 29050101, Sparkasse Bremen
NACHTRAG vom 27. Mai 2014
ENDLICH GIBT ES DAS "GRANDIOSE" VIDEO WIEDER ZU SEHEN, DIESMAL OHNE LEICHT BEKLEIDETE MÄDELS...
Refrain: Bremen, du bist die Stadt, aus der ich bin, bist für mein Herz ein Reingewinn! Bremen, du bist viel besser als der Rest der Welt. Ich geh nicht weg, auch nicht für Geld! Es war einmal vor gar nicht langer Zeit, da sprach ein jeder von Bremen ganz deutschlandweit. Der Hafen war ein Reichtum von ganz Bremen. Wir waren das Tor zu einem neuen Leben, nach Osten oder in die neue Welt. Die Hansekogge brachte reichlich Geld. Auch die Stadtmusikanten waren der Wahn bestehend aus 'nem Esel, Hund und Katze und Hahn! Sie haben unsere Hansestadt bekannt gemacht. Jetzt ist es so weit, ganz Bremen erwacht! Refrain: Bremen, du bist die Stadt... (siehe oben) Wir leben stets gemütlich, haben einen Schnoor. Unsere Fußballmannschaft trifft grün-weiß in das Tor. Kulinarisch essen, hier gibt es auf den Tisch den Bremer Burger, lecker, in Bremen isst man Fisch. Und willst du was erleben, dann plane mit Bravour mit Kassler, Kohl und Würstchen, 'ne Kohl und Pinkel-Tour. Und auf dem großen Marktplatz, den der Roland stets bewacht, dem Rathaus gegenüber in seiner vollen Pracht. Er hat unsere Hansestadt bekannt gemacht, jetzt ist es soweit, ganz Bremen erwacht! Refrain: Bremen, du bist die Stadt aus der ich bin... (siehe oben)