
Die Tochter von Corinna Germendorff geht in die zweite Klasse der Grundschule Seebergen, ein Ortsteil der Gemeinde Lilienthal. Jeden Morgen schnappt sich Hannah um kurz vor acht Uhr ihr Fahrrad und fährt selbstständig den kurzen Weg zur Schule und am Nachmittag wieder zurück. Ab dem Schuljahr 2016/17 könnte sich das ändern, die kleine Dorfschule ist eine von mindestens zwei Grundschulen in den Randbezirken Lilienthals, die im nächsten Jahr geschlossen werden soll. Die hoch verschuldete Gemeinde verspricht sich von den Schließungen massive Einsparungen.
Grundschulsterben ist ein Thema, das ganz Deutschland betrifft: Laut Recherchen des ZDF-Magazins „Frontal 21" sind seit 1992 3.000 Grundschulen bundesweit geschlossen worden, allein im letzten Jahr waren es 575 Schulen. Vom Schulsterben sind vor allem ländliche Regionen betroffen, als Grund nennen Kommunen und Gemeinden den Rückgang der Schülerzahlen durch die sinkenden Geburtenraten. Laut Frontal 21 dienen die Schulschließungen vor allem der schnellen Haushaltssanierung.
Einsparungen durch Schulschließungen
Auch in Lilienthal drohen schon seit vielen Jahren Schulschließungen, mal ging es um die mangelnde Ausstattung der Räume für Inklusionskinder, mal um die sinkenden Schülerzahlen. Wenn die ohnehin schon kleinen Schulen nicht ausgelastet sind, werden sie zu teuer, so lautet die Argumentation der rot-grünen Kommunalpolitiker, hinzu kommen hohe Sanierungskosten, die nötig sind, um die Schulen zu erhalten. Fakt ist, dass sich die Gemeinde aufgrund der Kosten für die neu gebaute Umgehungsstraße und der Verlängerung der Straßenbahnlinie hoch verschuldet hat und dringend Geld braucht. Um zu prüfen, welche Schulen weiter bestehen können und welche geschlossen werden, beauftragte die Lilienthaler Gemeinde die Bonner Agentur Biregio damit, ein Gutachten zu erstellen. Das Ergebnis der Recherchen: Die Grundschulen in Seebergen und Frankenburg sollen geschlossen, die Schüler auf die vier bestehenden Grundschulen in Lilienthal verteilt werden. Dafür sind allerdings einige Umbauten nötig. Die Agentur geht von Einsparungen im sechsstelligen Bereich aus.
Für die Eltern der betroffenen Kinder ist diese Lösung nicht akzeptabel, seit Monaten schon setzen sie sich für den Erhalt ihrer Dorfschulen ein. Dass die Gemeinde durch Schulschließungen Geld spart, glaubt Corinna Germendorff, Schulelternsprecherin der Grundschule Seebergen, nicht: „Ein Großteil der Kosten wird an eine andere Schule wandern. So zum Beispiel Wasserkosten, Heizung, Reinigung, Instandhaltung und so weiter. Dazu gehören auch die Folgekosten, die durch Reduzierung der Klassenräume sowie durch die Umbauten der Schulen zu Kindergärten entstehen werden". Rückläufige Schülerzahlen seien in Seebergen und Frankenburg ebenfalls kein Thema, auch für die Zukunft würden konstante Schülerzahlen prognostiziert.
Germendorff engagiert sich seit einigen Jahren gemeinsam mit verschiedenen Eltern und Bürgern aus Lilienthal und Umgebung in der Interessengemeinschaft „Unser Lilienthal – unsere Grundschulen" für den Erhalt der Grundschulen. Das Engagement zieht inzwischen weite Kreise, bei einer Demo Mitte Juni zogen an die 800 Menschen durch Lilienthals Straßen, um sich lautstark gegen die Schulschließungen zu wehren, darunter engagierte Eltern ebenso wie Landfrauen, Landjugend, Feuerwehr und Landwirte.
Längst gehe es nicht mehr nur um den Kampf für die Grundschulen, erklärt Mone Strzelczyk, Schulelternratsvorsitzende der Grundschule Frankenburg: „Inzwischen mischen eine Menge Leute mit, die außerhalb des Lilienthaler Zentrums wohnen, und die sich fragen, wie das Geld in Lilienthal verteilt wird." Umgehungsstraße und Straßenbahnerweiterung würden primär den Menschen im Ort zugutekommen, während die Dörfer sich stiefmütterlich behandelt fühlen. Dabei sei es enorm wichtig, das Dorfleben für junge Familien attraktiver zu machen.
Dorfgemeinschaft erhalten
Gerade kleine Dorfschulen sind wichtig für die Gemeinschaft im Ort. Kinder knüpfen Freundschaften und nutzen die Angebote der örtlichen Vereine. Auch für die Eltern bietet eine Schule Kontaktmöglichkeiten mit anderen Familien, sei es bei Schulfesten oder durch Ehrenämter. So sei die Identifikation mit den kleinen Schulen besonders hoch, erläutert Mone Strzelczyk: „Eine kleine eingeschworene Gemeinschaft bietet enorm viele Mitwirkungsmöglichkeiten und viel Potential für Identifikation." Ist die Schule nicht mehr im Wohnort, verteilen sich die Kontakte auf verschiedene Orte, der Radius wird um einiges größer. Die Kinder können nicht mehr allein zu Freunden oder zum Sport fahren, sondern müssen von den Eltern gebracht werden bzw. mit Bussen fahren. Auch der Schulweg wird um einiges aufwändiger, viele Schulkinder, die bisher mit dem Fahrrad in die Schule fahren konnten, werden auf den Bus umsteigen müssen. Das wünschenswerte Prinzip für Grundschüler „kurze Beine – kurze Wege" lässt sich so nicht mehr realisieren.
Eine Alternative zu den Schulschließungen könnte ein Bildungszentrum sein, das Krippe, Kindergarten und Grundschule unter einem Dach vereint. Ein derartiges Modellprojekt existiert bereits in der Worpsweder Gemeinde Hüttenbusch. Auch Corinna Germendorff hält dieses Modell für eine gute Möglichkeit, eine Grundschule zu erhalten, von deren Konzept die Eltern überzeugt sind. Besonders für junge Familien, die von der Stadt aufs Land ziehen, bietet die Kombination aus KiTa und Schule an einem Ort viele Vorteile.
Am 7. Juli wird der rot-grüne Gemeinderat die definitive Entscheidung über die Schulschließungen treffen. Falls die Schließungen bestätigt werden, ist das für die Mitstreiter der Bürgerinitiative allerdings kein Grund, aufzugeben.*
*UPDATE: Der Gemeinderat hat entschieden, dass die Schulen geschlossen werden.