© Suse Lübker
Dr. Marion Brüggemann
Medien sind aus dem Alltag unsere Kinder nicht mehr wegzudenken. Bereits 18 Prozent der Acht- bis Neunjährigen besaßen Studien zufolge 2017 ein eigenes Smartphone, mit 10 bis 11 Jahren sind es schon 67 Prozent. Tablet, Computer oder Smartphone gehörten zur Grundausstattung in vielen Haushalten. Wie sieht die Mediennutzung der „Digital Natives" aus? Wie lernen sie den Umgang mit den Medien und welche Rolle haben Eltern und Bildungsinstitutionen. Dr. Marion Brüggemann, Medienpädagogin und Wissenschaftlerin am Institut für Informationsmanagement Bremen GmbH an der Universität Bremen hat sich den Fragen unserer Redakteurin Suse Lübker gestellt.
Wieviel Zeit verbringen Grundschulkinder mit Medienkonsum?
Das ist pauschal schwer zu sagen. Unser Alltag ist viel stärker von Medien durchzogen und von Medien bestimmt als vor ein paar Jahren. Inzwischen kann man ja keine Fahrkarte mehr kaufen, ohne kommunikativ mit Medien in Kontakt zu kommen. Mediennutzung ist integraler Bestandteil des Alltags, bei den Kindern und in der Familie. Das fängt schon damit an, dass Kita-Eltern in Whatsapp-Gruppen Fotos der Kinder verschicken oder dass Kindern in Wartesituationen das Handy in die Hand gedrückt wird – der Medienkontakt hat sich stark intensiviert und ist kaum noch wegzudenken. Der zeitliche Umfang lässt sich nur schwer zusammenfassen, da es sich um eine integrierte Nutzung handelt.
Wie wirkt sich die Mediennutzung im Alltag aus – halten die Medien die Kids vom Lernen ab?
Denkt man an Grundschulkinder gibt es Entwicklungsaufgaben und Bildungsbereiche, die enorm wichtig sind: Soziale Kompetenz, Kreativität, Lesen, mathematisches und naturwissenschaftliches Verständnis aufzubauen – diese Bildungsbereiche haben Priorität. Medien kann man auf zweierlei Weise integrieren: Einerseits hat man das Lernen mit den Medien, das die Schule unterstützen und fördern sollte. Hinzu kommt das Lernen über Medien, also die Medienerziehung. Diese Bereiche muss man voneinander trennen.
Das funktioniert aber nur, wenn die Eltern mit den Kindern im Kontakt bleiben, oder?
Ja, das ist ein zentraler Aspekt. Es ist sehr wichtig, dass Eltern wissen, was ihre Kinder mit Medien machen. Gerade bei den Grundschulkindern, in dieser Spanne zwischen sechs und zehn Jahren, verändert sich das doch enorm. Der Medienpädagoge Norbert Neuss hat mal gesagt, das sei so ähnlich mit der Verkehrserziehung: Als kleines Kind beginnt man zu laufen, dann fängt man an Roller zu fahren, dann löst man sich immer mehr von den Eltern, macht Wege allein und wird selbstständig und sicherer auf diesen Wegen. Das ist ein ganz passendes Bild, finde ich. Das setzt natürlich voraus, dass Eltern die Nutzung begleiten und Interesse daran zeigen, was Kindern gefällt und dass sie ihre Helden, ihre Medienvorbilder kennenlernen.
Die Aufgabe der Eltern ist es natürlich auch, altersgerechte Angebote bereitzustellen. Die findet man zum Beispiel über Kindersuchmaschinen wie Blinde Kuh oder fragFINN. Kinder haben oft ein gutes Gespür dafür, was ihnen guttut und was ihnen nicht gefällt. Eltern müssen Kinder stark machen, damit sie Grenzen auch selbst erkennen, so dass sie sich schützen, wenn ihnen etwas nicht guttut.
Die Qualität bzw. die Inhalte sind ganz wesentlich, aber wie sieht es mit den Nutzungszeiten aus? Können Kinder denn eigenständig entscheiden, wieviel Zeit sie mit den Medien verbringen oder brauchen sie einen festen Rahmen?
Familien mit unterschiedlichen Bildungs- und Erziehungsgedanken haben natürlich unterschiedliche Regeln. Wichtig ist, dem Kind deutlich zu machen, warum hier diese Regeln gelten. Warum man Zeiten einschränkt und warum man glaubt, dass es dem Kind guttut. Diese Gedanken müssen Eltern sich natürlich vorher machen. Vor allem müssen Eltern auch ihre eigene Nutzung reflektieren! Ich kann von meinem Kind nicht verlangen, dass es die Kommunikation über Whatsapp einstellt, wenn ich selber beim Abendessen meine Nachrichten checke. Alle Familienmitglieder müssen dann auch diese Regeln respektieren. Das ist nicht immer spannungsfrei. Eine generelle Mediensparsamkeit macht aber meiner Einschätzung nach keinen Sinn.
Medienerziehung ist ja auch Aufgabe der Schule, ist das in der Grundschule Thema?
Bildungsinstitutionen und Eltern müssen zusammenarbeiten und das fängt für mich damit an, dass es schon in den Grundschulen Elternabende geben muss, bei denen die Mediennutzung thematisiert wird, zum Beispiel die Nutzung von Whatsapp oder Fortnite. Die Schule muss da auch Stellung beziehen, es reicht nicht, zu sagen, bei uns sind Handys verboten, wenn die Nutzung den Schulalltag längst prägt.
In der Grundschule muss es auch darum gehen, Kindern einen kreativen und kompetenten Umgang mit digitalen Medien zu ermöglichen. Und zwar gerade denen, die zuhause eher einen konsumorientierten Zugang zu Medien haben. So erfahren Kinder einerseits, digitale Medien eben auch zum Lernen zu nutzen und anderseits Medienbotschaften und -wirkungen richtig zu deuten. Dazu gehört zum Beispiel, dass sie Fake News erkennen oder mit irritierenden Kettenbriefen umgehen können. Das ist leider noch sehr wenig verbreitet in den Grundschulen.
Wie sinnvoll sind zeitliche Beschränkungen oder Kontroll-Apps?
Grundsätzlich sollte mit dem Alter der Kinder die Selbstkontrolle steigen. Mit Kontroll-Apps fördert man nicht die selbstständige, eigenständige Kompetenz der Kinder. Für jüngere Kinder sind technische Barrieren aber durchaus sinnvoll. Kinder brauchen allerdings manchmal auch die Zeit, zum Beispiel, um ein Spiel zu Ende zu spielen. Nichts ist schlimmer als mitten im Spiel den Stecker gezogen zu bekommen. Das ist so, als würde man ein Buch lesen und das Kapitel nicht zu Ende lesen dürfen, das ist doch furchtbar!
Ich plädiere dafür, die Freude und die Lust an den Medien anzunehmen und nicht immer davon ausgehen, dass die Zeit vertan ist und man sie besser nutzen könnte.
Medien sind Teil unseres Lebens, Teil der Kommunikation und Teil der Jugendkultur. Man kann nicht sagen, dass für ein Kind in einem bestimmten Alter definitiv 30 Minuten Mediennutzung zu veranschlagen sind, das hängt vielmehr vom Kind ab und von den eigenen Erziehungsidealen. Man muss dann auch die eigenen Werte und Maßstäbe hinterfragen und immer im Gespräch bleiben.
Hilfreich sind Ratgeber, die einem den Weg weisen können (Siehe Infokasten am Ende dieses Textes, Anm. d. Redaktion), oft sind es die Faustregeln, die allerdings manchmal ein bisschen kurz greifen. Jedes Kind ist schließlich anders und die intensive Nutzung bestimmter Medien bedient sicherlich auch bestimmte Bedürfnisse. Wenn es zu einer übermäßigen Nutzung kommt, muss man gucken, woran das liegt, statt einfach so den Stecker zu ziehen. Geht es darum Freunde zu treffen oder dienen die Medien zur Ablenkung ... Inzwischen kumuliert ja alles in einem Gerät – Spiele, Filme, Musik, Kommunikation.
Welche Gefahr droht, wenn die Mediennutzung überhandnimmt?
Digitale Medien sind Teil der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen. Grundsätzlich gilt: Kinder und Jugendliche haben einen grundlegenden Anspruch auf Teilhabe, doch den Chancen stehen eine ganze Reihe von Nutzungsrisiken gegenüber, die übermäßige Nutzung ist eines dieser Risiken. Die Diagnose, wann eine intensive Nutzung in süchtiges Verhalten umschlägt, ist schwierig und nicht pauschal zu beantworten. Seriöse Informationen zu diesem Thema bietet z. B. die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Im Netz finden sich leider auch viele „Expertentipps“, die wenig hilfreich erscheinen und eher Panik schüren. Um einer übermäßigen Nutzung vorzubeugen ist auch die Medienpädagogik gefragt, deren Aufgabe es ist, die Medienkompetenz von Kinder und Jugendlichen zu fördern. Das heißt, Kinder und Jugendliche einerseits bei der Aneignung einer kompetenten und kreativen Mediennutzung zu unterstützen und anderseits auch eine kritische Reflexion der Medien und ihrer Nutzung zu fördern. Das kann auch bedeuten, ganz bewusste medienfreie Zeit mit sich und anderen zu verbringen!
Linktipps
www.klicksafe.de: Medienpädagogische Materialen für Lehrende, Eltern und Kinder.
www.internet-abc.de: Erste Schritte im Netz mit Kindern sowie Tipps für Eltern und Pädagogen*innen. Hier kann man z. B. auch einen Nutzungsvertrag gestalten: www.mediennutzungsvertrag.de
www.ins-netz-gehen.de: Ein Informations- und Beratungsangebot für Jugendliche der BZGA für die „richtige Balance zwischen der realen und der virtuellen Welt“ mit der Möglichkeit sich Hilfe zu holen.
www.jugendschutz.net: Informiert zu einem zeitgemäßen Jugendmedienschutz und nimmt fachkundig aktuelle Nutzungsrisiken in den Blick.