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Boyhood, Universal Pictures
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Boyhood, Universal Pictures
„Einen Film wie diesen hat es einfach noch nie gegeben,“ wirbt der „Rolling Stone" in dem Trailer von Boyhood, der auf der diesjährigen Berlinale den silbernen Bären für die beste Regie erhalten hat. Im ersten Moment denke ich: so ein Quatsch, alles hat es irgendwie schon mal gegeben. Aber ich muss mich korrigieren.
Der Regisseur Richard Linklater hat über zwölf Jahre das fiktive Leben des jungen Mason (Ellar Coltrane) portraitiert. Am Anfang noch ein kleiner Grundschüler, folgen wir ihm in ausgesuchten Ausschnitten seines Lebens Jahr für Jahr bis hin zum College-Alter. Jedes Jahr traf sich dafür das gesamte Filmteam mit den Schauspielern für drei bis vier Drehtage. Die dabei natürlich alternden Protagonisten, allen voran der Hauptdarsteller und seine Schwester Samantha (die besetzte der Regisseur übrigens mit seiner eigenen Tochter, Lorelei Linklater), nehmen uns in ihrem Leben mit, als würden wir ein Familienalbum betrachten. Dabei sind es keine besonders großen Dinge, keine Katastrophen oder unglaubliche Glücksfälle um die es geht, sondern gerade um die kleinen Momente: die Entwicklung der Kinder, aber auch die der Mutter Violett (Patricia Arquette) mit ihren wechselnden Männern (unter anderem Ethan Hawke) und um andere Bezugspersonen, die immer mal wieder auftauchen und verschwinden. Wie im echten Leben eben.
Genau hier aber liegt die Stärke des Films. Knapp drei Stunden lang, ohne einen Hollywood-gewohnten Handlungsbogen, ist der Zuschauer in der Position des Voyeurs, der Fliege an der Wand, die die Familie beobachtet und belauscht, mit ihnen lacht und sich von ihr berühren lässt, ohne das es auch nur ansatzweise langweilig wird.
Das Coming-of-Age-Drama ließ mich zurück denken an meine eigene Kindheit und die Zeit der Pubertät, wobei ich häufig froh darüber war, diese Zeit der inneren Findung und Unsicherheiten hinter mir zu haben.
Für mich als Mutter öffnete sich aber noch eine zweite Ebene, eine Art Blick in die Glaskugel, in Vergangenheit und Zukunft. Es gab viele kleine Momente und Situationen, die ich so gut wiedererkannt habe und vielleicht auch noch mal ganz neu überdenken musste, da sie komplett aus Kindersicht gezeigt wurden. Dann kam das Alter in dem mein Sohn sich gerade befindet und plötzlich kippte es zu dem was uns noch bevor steht, was ebenso faszinierend wie gruselig war.
Auf jeden Fall erkennt man sich, sowohl als Jugendlicher als auch als Elternteil, in den wirklich gelungenen und kurzweiligen Dialogen problemlos wieder und fühlt sich wahrscheinlich mehr als einmal ertappt.
Die Einbindung des aktuellen Zeitgeschehens der jeweiligen Jahre macht einem dabei immer wieder bewusst, dass Boyhood, obwohl jetzt in den Kinos, in vielen Passagen schon bis zu zwölf Jahre alt ist.
Besonders beeindruckend ist dabei die Vorstellung, dass sich sämtliche Schauspieler – vor allem die der Kinder – im Vorhinein auf eine 12-jährige Arbeitszeit einstellen mussten. Dabei wurde, wie Linklater erklärte, das Drehbuch nach Drehbeginn nicht mehr umgeschrieben. Vielleicht war es einfach Glück, vielleicht der besondere Spürsinn einer Casting-Agentur, die mit Ellar Coltrane die Hauptrolle so hervorragend und passend zum Drehbuch besetzt hat.
Am Ende, das eigentlich kein wirkliches Ende ist, sondern das Herauszoomen der Kamera, die Mason nach all der Zeit sich selber überlässt, bleibt bei allen Protagonisten die Frage, was das denn hier eigentlich alles soll, das Leben, das Planen und Scheitern, das Lieben und Loslassen müssen. Aber genau darauf will der Film auch gar keine Antwort geben und das ist gut so.