Foto: wattwurm25 / pixelio.de
USA mit Kindern
Wir sitzen im Flugzeug nach San Francisco, endlich. Für uns und die Kinder Anton und Jonna beginnt die lange geplante USA-Reise jetzt richtig. Jonna ist aufgeregt und schaut sich alles genau an – für Anton ist der Flug nicht viel anders als eine sehr sehr lange Bahnreise. Wir sind hoch über den Wolken und fliegen stundenlang übers Meer, die Sonne geht überhaupt nicht unter. Nur die Rollos werden herunter gezogen, damit wir uns einbilden, dass es Nacht ist. Anton kann und will nicht schlafen, vor ihm ist sein eigener Bildschirm mit vielen Knöpfen. Man kann Filme aussuchen! Alice im Wunderland! „Cool, wie Alice dem Drachen den Kopf abschneidet, Mama!“ Zum Schlafen und Essen im Flugzeug haben beide Kinder nur wenig Zeit.
Erst als wir abends in San Francisco landen und noch ewig lange für die Zollkontrollen brauchen, hat Anton die Nase voll vom Verreisen, wir alle sind todmüde. Aber dann werden wir von Lena und ihren Eltern abgeholt. Lena kann auf einmal englisch und vor allem brennt sie darauf, uns zu zeigen, wie gut sie sich hier auskennt. Am nächsten Tag steht sie gleich morgens um sechs Uhr an unserem Bett und zeigt uns mit Besitzerstolz das Haus und den Garten mit den riesigen Eukalyptusbäumen, in dem man gelegentlich sogar einen Kolibri erspäht. Von Lena lernen Jonna und Anton in den nächsten Tagen, dass man beim Spazieren gehen ganz genau aufpassen muss, damit man keine giftigen Pflanzen, wie Gift-Efeu („poison ivy“) oder Gifteiche („poison oak“) berührt.
Und hier sind die Spaziergänge etwas ganz besonderes. Zum Beispiel bei unserem Ausflug in die „Muir Woods National Monument“ - ein geschütztes Waldgebiet, in dem die Redwoods wachsen: Mammut-Bäume, durchschnittlich 600 bis 800 Jahre alt und bis zu 80 Meter hoch. Die Kinder fühlen sich wie Zwerge in einem riesigen Märchenwald. Sie klettern in hohle Bäume, balancieren auf Baumwurzeln oder verrenken sich fast den Hals beim Blick in die Baumspitzen. Die andächtige Stimmung, die hier herrscht, lässt sogar den quirligen Anton zur Ruhe kommen.
Ganz anders ist die Stimmung in Sausalito, einem hübschen Städtchen nordwestlich der Golden Gate Bridge. Die Kinder klettern auf den Felsen herum, schlecken Eis und bewundern die bunten Boote in der Bucht von San Francisco. Die Stadt selbst ist – wie fast immer - von Nebel umschlossen. Dass die Leute alle englisch sprechen, wundert Anton zwar etwas, stört ihn aber nicht bei seiner Kontaktaufnahme. Gelegentlich erreichen uns hilfesuchende Blicke, denn unser „charming boy“ erzählt jedem freundlich gesinnten Menschen seine Erlebnisse. Auf Deutsch – damit müssen seine Gesprächspartner zurechtkommen.
Und in der Stadt? Da ist alles riesig: breite Straßen, hohe Häuser, riesige Springbrunnen unter denen man durchlaufen kann. Viel Sightseeing ist mit den Kindern zwar nicht möglich, zumindest nicht zu Fuß, aber es gibt ja die Cable cars, die uns tolle Stadtansichten bescheren. Ganz besonders viel Spaß bringt es, Hand in Hand mit Mama und Papa die hügeligen Straßen hoch- und runter zu laufen, und wieder hoch und wieder runter. Und das bei über 30 Grad Hitze. Und noch ein Eis. Anton strahlt.
Nach anderthalb Wochen bei Freunden machen wir einen Familienausflug Richtung Süden. Grobes Ziel: Monterey, Seeaquarium. Natürlich mit dem Auto. In Amerika fährt es sich gemütlich, aber die Strecken sind weit und das dauert eben. Nein, Anton, wir haben keinen Kassettenrekorder. Nach anfänglichem Quengeln sitzen beide Kinder dann einvernehmlich nebeneinander im gut klimatisierten Mietwagen und … denken sich Geschichten aus. Pause machen wir bei Wendy's, mit Burgern und dem Kid's Menu. Und natürlich gibt es dazu die unvermeidlichen Plastikgeschenke, die alle Kinder lieben. Die Kinder strahlen. Am Abend finden wir ein Motel und jetzt ist Anton richtig glücklich, denn hier gibt es einen beheizten Pool, der sogar um 21 Uhr noch geöffnet ist.
Eine der Hauptattraktionen auch für uns Erwachsene ist sicherlich der Tagesausflug in das spektakuläre Bay-Aquarium in Monterey. Staunende Augen vor dem Riesenaquarium. Was hier so herum schwimmt, ist für die Kinder wie ein lebendig gewordenes Kinderbuch: Haie, Rochen, Seegurken, ein schüchterner Oktopus und jede Menge Kleingetier, wie Korallen, Schnecken und Seeanemonen, direkt hinter der Scheibe. Das ist viel besser als Fernsehen. „Mama, da ist Nemo! Und Dori!“ (Was machen die denn jetzt hier?). Und dann noch die „Splash Zones“ - kindgerechte Stationen zum Anfassen, Ausprobieren, Spielen, Planschen... - toll! Die Pinguinfütterung nutzt Anton dann, um sich das erste Mal aus dem Staub zu machen. Er verschwindet einfach so. Wir finden ihn in einer der Spielecken. Wale malen. Wir werden ihn nicht das letzte Mal aus den Augen verloren haben.
Im Außenbereich des großen Aquariumgeländes bestaunen wir ein Seeungeheuer-Musical mit umweltpädagogischer Message („reduce, re-use, recycle – yeah“). Glücklich und müde zurück ins Motel – so ein toller Tag. Anton muss unbedingt noch in den Pool. Wer taucht besser, er oder die Seehunde im Aquarium?
Das nächste Ausflugsziel – wir sind wieder zu siebt unterwegs – heißt Bodega Bay, ca. 100 Kilometer nordwestlich von San Francisco. Hier drehte Alfred Hitchcock Anfang der 60er Jahre seinen Klassiker „Die Vögel“, Tippi Hedrens Autogrammstunde verpassen wir um einen Tag. Auf unserem Plan steht: Vier Tage zelten, direkt am Pazifik. Nicht geplant bzw. gewünscht ist: Nebel, Nebel, Nebel. Den Kindern ist das schnurzpiepegal, sie ziehen einfach so los und sammeln Stöcke und Muscheln. Zeltplätze sind Kinderparadiese, egal ob in Schleswig Holstein oder am Ende der Welt. Trotzdem fallen Anton die Unterschiede auf, und auf dem Weg zum Zähne putzen resümiert er: „In Amerika ist alles anders!“.
Am dritten Tag haben wir Erwachsenen die Nase voll von der feuchten Luft und packen unsere sieben Sachen. Noch ein Mittagspicknick an der unglaublich weiten und wilden Pazifikküste und auf in die Sonne, die die ganze Zeit eine Viertelstunde landeinwärts auf uns gewartet hat.
Nach drei Wochen San Francisco beginnt der zweite Teil der Reise – wir wechseln von der Pazifik- auf die Atlantikseite nach Maine ins Land der Hummer und Blaubeeren – Familienbesuch. Wieder ins Flugzeug. Wieder eine Zeitverschiebung. Von Boston sind es noch fünf Stunden Autofahrt bis zum Ziel, Amerika ist wirklich groß. Kaum im Auto, sind beide Kinder eingeschlafen. Sie reagieren sehr unwirsch, als wir sie nach zwei Stunden wecken. Wie soll denn aber auch ein Dreijähriger verstehen, dass er sonst überhaupt nicht mehr zu einer halbwegs normalen Zeit einschlafen wird.
Einzige Rettung: Highwayraststättenfastfoodrestaurant. Plastikspielzeug? Yes, please! Nachts um zwei Uhr kommen wir auf Mount Desert Island an. Die Kinder sind munter. „Papa, man sieht ja gar nichts!“ Da ist er wieder, der Nebel. Egal, Hauptsache, wir sind da und können endlich schlafen. Am nächsten Morgen um 11 ist für Anton und die Jonna die Welt dann wieder so richtig in Ordnung, sie sind mitten in einem Kinderparadies gelandet. Das Grundstück von Tante Inge und Onkel Lester liegt direkt am Wasser, ist riesig und voller Spielgeräte: Piratenschiff, Schaukel, Spielhäuser, Klettergestell, Rutsche, und dazu Spielzeug ohne Ende. Gebaut und eingerichtet haben es Inge und Lester für ihre Enkel, die hier jeden Sommer verbringen. Anton schlüpft in die Badeschuhe von einem seiner ihm unbekannten Cousins und steckt einen Fuß ins Wasser. Und beschließt dann doch lieber zu spielen oder sich von Papa mit dem Kanu herumkutschieren zu lassen. Und dann sind da noch die Kinder aus dem Nachbarhaus, die sprechen zwar kein Wort Deutsch, aber egal. Spielen kann man auch ohne Worte.
Die Woche in Maine vergeht für alle wie im Flug. Jeden Tag kommt neuer Besuch, alle werden von Anton freundlich begrüßt: „My name is Anton!“ und alles und jeder wird gezählt, natürlich auch auf Englisch. Oh, how cute. Kleine Jungs haben es einfach überall besonders leicht. Wie praktisch, dass der Nachbar Hummerfischer ist. Und wie toll, dass er uns alle mit auf sein Motorboot nimmt zum Einholen der Hummerfallen. Die Kinder sind völlig aus dem Häuschen. In ihren Schwimmwesten sehen sie richtig zünftig aus. Die Fallen werden aus dem Atlantik gezogen, die Hummer kommen in Körbe und alles andere Getier darf zurück ins Meer. Seesterne, Seeigel, Einsiedlerkrebse, Seeaale und Seegurken – und diesmal nicht hinter Glas, sondern zum Anfassen! Wow! Sogar Anton traut sich, die Seesterne ins Meer zurück zu befördern. Und die Hummer? Naja, das Hummerleben ist von nun an vorbestimmt: Scheren zubinden, ab in den Korb und auf in den Topf. Das Kochspektakel findet draußen statt. Jonny und Lester haben alles im Griff, Jonna wirft die braunen Hummer in den riesigen Kochtopf beobachtet staunend wie sie langsam rot werden. Nichts für schwache Nerven oder Vegetarier. Aber wir sind halt im Lobsterland. Viel Hummer hat Anton nicht gegessen, aber das Auspulen bringt ihm sichtlich Spaß.
Hier in Maine sind selbst die Regentage überhaupt nicht langweilig – Tante Inge schickt uns ins Kindertheater im Gemeindehaus der Insel. „Peter Pan“ auf Englisch und zwar als Kinder-Comedy-Transvestitenrevue. Warum die eher konservativen Inselbewohner Spaß an einer derartigen Inszenierung haben, wird uns ewig ein Rätsel bleiben. Unsere Kinder jedenfalls haben großen Spaß und mit ein bisschen Übersetzungshilfen bleibt einiges hängen. Maine ist wunderschön und wir könnten gut und gerne weitere vier Wochen bleiben, leider hat auch dieser Urlaub ein Ende. Die Rückfahrt nach Boston ist eine echte Herausforderung für uns alle. Einziger Lichtblick: Endlich wieder ein Fernseher im Flugzeug, wieder keine Zeit zum Schlafen. Und zu Hause in Bremen erwacht gerade ein neuer Tag.