
© Suse Lübker
„Au ja, wir malen gemeinsam ein Bild!“ Die 10-jährige Alina ist begeistert und schnappt sich gleich einen dicken Buntstift. Wir malen abwechselnd, jede darf eine Linie ziehen, einen Kreis oder eine Form zeichnen und dann ist die nächste dran. Da wo eine aufgehört hat, malt die nächste weiter.
Ich treffe Alina, das „Mogli“-Mädchen und ihre „Balu“, die 20-jährige Studentin Ronja im „Künstlerhaus AUSSPANN“, einem urigen alten Speichergebäude mit verwinkelten Räumen mitten im Schnoor. Seit einem halben Jahr sind die beiden einmal die Woche für einen Nachmittag gemeinsam unterwegs, gehen schwimmen, besuchen ein Museum oder spazieren einfach durch die Stadt. Was sie machen, ist gar nicht so wichtig, es kommt darauf an, dass sie gemeinsam Zeit verbringen ohne Eltern und Geschwister, ohne Hausaufgaben oder andere Pflichten. An diesem Nachmittag darf ich dabei sein.
Alina und Ronja machen mit bei „Balu und Du“ – einem bundesweiten Mentorenprogramm der Freiwilligen-Agentur. Seit 2008 existiert das Konzept auch in Bremen. „Damals fanden sich sechs Freiwillige zusammen, die auf den schrecklichen Tod des kleinen Kevin reagieren wollten“, erklärt Projektleiterin Claudia Fantz, „sie wollten verhindern, dass so eine Tragödie jemals wieder passiert“. Sie erfuhren von Balu und Du und beschlossen das Programm auch in Bremen zu starten – mit Erfolg: Balu und Du startete vor knapp 10 Jahren mit sieben Balu-Mogli-Paaren, inzwischen treffen sich 55 Balus mit ihren Moglis.
Freunde werden – Freunde bleiben
Das Programm fördert Grundschulkinder im außerschulischen Bereich. Junge, engagierte Leute übernehmen ehrenamtlich mindestens ein Jahr lang eine individuelle Patenschaft für ein Kind.r. Die ehrenamtlichen Balus sind zwischen 17 und 30 Jahren alt, viele studieren noch. Die meisten profitieren von ihren Erfahrungen nicht nur im eigenen Alltag, sondern auch im Studium, zumal der Praxisanteil in einigen Studienfächern oft zu kurz kommt. Wie findet die Freiwilligen-Agentur passende Balus? „Wir legen viel Aufmerksamkeit auf den Anfang“, sagt Claudia Fantz, „darin liegt das Geheimnis“. In einem anderthalb- bis zweistündigen Auswahlgespräch steht die Person im Vordergrund: „Es wird ein Mensch gesucht mit Hand, Herz und Verstand“, erklärt Claudia Fantz und „wir nehmen nicht jeden“. Die Erfahrung hat gezeigt, dass dieser Auswahlprozess sich lohnt, es gibt kaum Abbrüche, fast alle Balus bleiben bei ihren Moglis, sie begleiten sie ein Jahr lang und unterstützen sie wie ein großer Freund oder eine Freundin. Mehr als die Hälfte der Tandems bleiben auch nach dieser Zeit Freunde, sie treffen sich zwar dann nicht mehr jede Woche, bleiben aber in Kontakt.
Ob ein Kind in den Genuss dieser Partnerschaft kommt, wird in enger Abstimmung mit verschiedenen Grundschulen in Bremen festgelegt. Entscheidend ist, dass nicht bedarfsorientiert vermittelt wird, da der Bedarf in Bremen enorm ist. Die Balus wählen selbst aus, an welche Schulen sie vermittelt werden, denn die Schule sollte in der Nähe ihres eigenen Zuhauses sein, so entstehen kurze Wege, die sich gut in den Alltag der Studierenden integrieren lassen. Claudia Fantz: „Wir achten darauf, dass Mogli und Balu gut zusammenpassen. Wenn wir einen Balu gefunden haben, wird er an die Schule seiner Wahl vermittelt.“
Ronja wurde über die Uni aufmerksam auf das Projekt. Sie hat früher schon ehrenamtlich gearbeitet, in der Gemeinde und auch nach der Schule im „Freiwilligen Sozialen Jahr“ (FSJ): „Als ich von Balu und Du las, war ich sofort Feuer und Flamme – ich habe mich gefreut, dass es solch ein Projekt hier in Bremen gibt“. Ronja genießt es, die Welt mit Kinderaugen zu sehen und auch mal wieder aus dem eigenen stressigen Alltag herauszukommen. „Bei Balu und Du geht es ja darum, eine Freundschaft zwischen einem Kind und einem Erwachsenen zu entwickeln. Das ist mal etwas ganz anderes als die ‚Arbeit‘ mit Kindern“. Alina und Ronja haben sich gleich gut verstanden, beide genießen die gemeinsame Zeit sehr. „Meine Oma dachte am Anfang, wir würden zusammen Mathe lernen“, lacht Alina. „Das können wir doch auch mal machen, oder?“ Sie überlegt einen kurzen Augenblick und entscheidet sich dann anders: „Ach nö, lass uns lieber was spielen!“
Es geht darum, Zeit miteinander zu verbringen
Wie und wo die Tandems sich treffen, legen sie selbst fest. Entscheidend ist nicht, möglichst viel zu unternehmen und zu erleben, es geht darum präsent zu sein, Zeit miteinander zu verbringen. „Balus mischen sich nicht in die Erziehung ein“, erklärt Claudia Fantz, „sie gehen nicht rein in die Familie, sondern raus in die Welt“. Sich nicht einzumischen, sei manchmal eine Herausforderung, die meisten würden das schließlich von zuhause anders kennen, so Fantz. Es sei aber nicht die Aufgabe der Paten: „Balus sind keine Therapeuten, keine Familienhelfer. Wir achten darauf, dass sie nicht überfordert werden!“ Brauchen die Balus dennoch mal Unterstützung, können sie sich jederzeit bei Claudia Fantz und ihrem Team melden. Das Team, das sind 15 Ehrenamtliche, darunter auch ehemalige Balus, die Tipps und Kniffe weitergeben können.
Balu und Du wird von der Sparkasse und der Deutschen Kindergeldstiftung Bremen unterstützt, zusätzlich zu diesen beiden festen Säulen, beteiligt sich das Team an Wettbewerben und akquiriert Sponsoren und Spendengelder.
Die Freundschaft beruht auf Gegenseitigkeit
Das „Balu-Jahr“ startet mit einem Einstiegsseminar und endet mit einem Abschlussseminar, zusätzlich gibt es regelmäßige Supervisionen für die Balus. Alle Balus schreiben Tagebuch über ihre insgesamt 40 Treffen. Das sei zwar viel Aufwand, erklärt Claudia Fantz, lohne sich aber: „Wir lernen mit jedem Tandem und modifizieren das Konzept immer wieder“. Schließlich gehe es immer auch darum, Abbrüche zu verhindern. Dass das Konzept so gut aufgeht, liegt an vielen Feinheiten, davon ist Claudia Fantz überzeugt. So sind Balus und Moglis ständig im Kontakt, auch während der Urlaubszeit, damit das Kind keine Angst haben muss, dass der Kontakt abbricht. Balus gehen gestärkt aus dem Projekt, sie wissen, was sie können. „Und viele trauen sich dann auch zu, Mutter oder Vater zu werden“, so Fantz. Entscheidend sei aber, dass die Freundschaft auf Gegenseitigkeit beruhe, beide haben viel Spaß miteinander, verbringen eine gute Zeit und entdecken viel Neues. Eine Freundschaft, die beiden guttut. Ganz genauso wie bei dem Namensgeber „Balu" aus dem Dschungelbuch. Gemütlich und gelassen schwingt der freundliche Bär seine Hüften, tanzt durch den Dschungel und begleitet sein Mogli ein Stück seines Weges …
Alina, Ronja und ich haben unser Bild fertig gemalt. Bunt ist es geworden, ein lustiges Phantasiewesen. „Ein Monster“ sagt Alina, „aber ein freundliches“! Auch der Servicemann aus dem „Künstlerhaus AUSSPANN“ ist ganz angetan und fragt, ob er „Das freundliche Monster“ zu den anderen Kunstwerken stellen darf. Alina und Ronja machen sich gut gelaunt und ein wenig müde auf den Heimweg und planen schon die nächste Balu-Runde.
Balus gesucht!
Wer sich gern bei „Balu und Du“ engagieren möchte, wendet sich direkt an die Projektkoordinatoren Claudia Fantz von der Freiwilligen-Agentur Bremen, Telefon: 0421-342080 oder per E-Mail an fantz@freiwilligen-agentur-bremen.de. Weitere Infos über das Programm gibt es hier.