Foto: Schneegans Productions, ZDF
Klausmann, Behind the Scenes
„15 Länder, 16 Kinder, 5 Kontinente, 1 Stimme“ - so ist der Film „Nicht ohne uns!“ (Kinostart: 19. Januar 2017) von Filmemacherin Sigrid Klausmann und ihrem Ehemann, dem Schauspieler Walter Sittler, überschrieben. Und diese eine Stimme hat es in sich. Sie gehört 16 Kindern, die trotz aller Unterschiedlichkeit die Welt, in der sie leben, sehr genau hinterfragen und eines erkannt haben: den Wert von Bildung.
Sigrid Klausmann hat im Rahmen des Projektes „199 kleine Helden“ Kinder zwischen zehn und zwölf Jahren auf ihrem Weg zur Schule gefilmt, ist dabei in die Lebenswirklichkeit der Kinder in Laos, Island, Indien oder Afrika, aber auch in Deutschland oder Österreich eingetaucht und hat sie nach ihrem Alltag, ihren Wünschen, Träumen und Sorgen befragt. Egal, ob privilegiert aufwachsend in der westlichen Wohlstandsgesellschaft oder in den armen Regionen Afrikas oder Asiens und konfrontiert mit Kinderarbeit, Prostitution, Krieg und Gewalt, teilen die Kinder die Sehnsucht nach Sicherheit, Frieden, Glück, Freundschaft und Liebe. Der Film, der jüngst mit dem Goldenen Spatzen und weiteren Preisen ausgezeichnet wurde, ist ein starkes Plädoyer für Bildung, ein globales Miteinander, Verantwortung und letzten Endes für nichts Geringeres als eine bessere Zukunft. Denn die ist ohne Kinder nicht zu haben.
Im Interview erzählen Sigrid Klausmann und Walter Sittler von den Dreharbeiten, bewegenden Momenten und der Botschaft, die sie vermitteln möchten.
In „Nicht ohne uns!“ sieht man Kinder, die mit Skiern zur Schule fahren, mit dem Esel dorthin reiten, mit einer Seilbahn einen Fluss überqueren müssen oder, wie in Köln, einfach auf ihr Skateboard steigen. Wie haben Sie all diese Kinder überhaupt ausfindig gemacht?
Sigrid Klausmann: Anfangs habe ich nach außergewöhnlichen Schulwegen im Internet gesucht. Dann bin in Kontakt zu vielen Schulen getreten, die mir wiederum Kinder mit interessanten Schulwegen empfohlen haben. Einiges, zum Beispiel in Laos, hat sich auch relativ spontan ergeben, als mein Mann und ich dort Urlaub gemacht haben. Insgesamt haben die Drehs mehrere Jahre gedauert.
Die Kinder ausfindig zu machen ist das eine, aber wie haben Sie den Zugang zu ihnen gefunden? Alle reden frei von der Leber weg, sprechen auch Trauriges recht unbefangen aus.
S. K.: Ich arbeite seit meinem 19. Lebensjahr mit Kindern und Jugendlichen und weiß, worauf es ankommt. In erster Linie geht es um echtes Zuhören. Man muss lange und ausführlich mit ihnen sprechen. Natürlich wird dann vieles für den Film gekürzt, aber die Zeit muss man sich nehmen. Ich habe viele schöne Tage mit den Kindern verbracht und hoffe, dass sie das auch so in Erinnerung behalten.
Der Film ist an vielen Stellen sehr berührend. Es gibt Kinder, die im Rotlichtviertel aufwachsen, die HIV-positiv oder blind sind oder in großer Armut leben. Als erwachsener Zuschauer schämt man sich manchmal, dass es nicht besser läuft auf der Welt. Wie war es direkt vor Ort?
S. K.: Schlimmer. Wir alle wissen von diesen Zuständen und ändern nichts daran. Ich muss ehrlich sagen, dass ich mich für die Weltgemeinschaft schäme, dass wir es nicht besser hinkriegen. Wir können so vieles, aber vieles blenden wir einfach aus und lassen andere dafür leiden - ohne mit der Wimper zu zucken.
Für viele Kinder ist der Weg zur Schule nahezu eine Reise. Der Film zeigt, dass Kinder jeden Tag wieder für ihre Bildung kämpfen und Enormes auf sich nehmen. Da scheint es manchmal grotesk, dass man über den Wert von Bildung überhaupt diskutieren muss, oder?
S. K.: Ja, absolut. Mein Respekt vor diesen Kindern, vor ihrem Willen, ihrem Mut und den Widrigkeiten, denen sie jeden Tag gegenüberstehen, ist enorm. Ein Mädchen aus Jordanien läuft jeden Tag mehrere Stunden zur Schule und zurück. Das macht ihr auch keinen Spaß, aber sie weiß, dass Bildung ihre einzige Chance für ein besseres Leben ist. Das hat mich sehr berührt, und ich war verblüfft, wie viel Verantwortung Kinder übernehmen, wie viel Empathie sie haben und wie scharf sie ihre Lebenssituation erkennen.
Der Film ist ein starkes Plädoyer für Bildung und für ein globales Miteinander. Es geht um nichts Geringeres als unsere Zukunft. Wie optimistisch sind Sie, dass die Botschaft auch verstanden wird?
Walter Sittler: Wir glauben an die kleinen Schritte. Natürlich ist das nicht mit einem Film erledigt, aber auch ein kleiner Film kann große Denkanstöße geben. Er wird an Schulen gezeigt werden, ist bei vielen Film-Festivals dabei und geht in die Welt hinaus. Außerdem kommen viele Menschen auf uns zu, mit denen wir gar nicht gerechnet hätten. Das zeigt uns, dass etwas im Gange ist.
Empfanden Sie als Produzent die Arbeit sinnstiftender als die Schauspielerei, Herr Sittler?
W. S.: Es ist ein bisschen wie Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Ich halte gute Unterhaltung ganz wichtig für eine Gesellschaft. Dieser Film ist ein anderer Teil meines Lebens. In unseren Dokumentarfilmen scheint das echte Leben durch, das fühlt sich natürlich anders an.
S. K.: Mein Mann engagiert sich enorm. Ohne ihn hätte ich die ganze Arbeit an dem Film gar nicht geschafft. So etwas funktioniert nur, wenn alle Beteiligten mit Leidenschaft dabei sind.
Sie beide setzen sich im Rahmen der Reihe „199 kleine Helden“ stark für Kinder ein, lassen ein Mosaik der Welt aus Sicht der Kinder entstehen. Was nehmen Sie aus dieser Arbeit mit?
S. K.: Es geht uns darum, die Signale, die wir empfangen, weiterzugeben. Mädchen, kämpft für eure Rechte! Kinder, kämpft für eure Bildung, euren Lebensraum, für ein besseres Leben!
W. S.: In einer Zeit, in der alles Fremde als bedrohlich aufgebaut wird, gilt es, genau hinzuschauen. Das machen Kinder mit Leichtigkeit und lernen: Das Fremde ist gar nicht so fremd. Da verliert vieles seinen Schrecken.
Viele Erwachsene halten Traurigkeit bei Kindern schlecht aus ...
W. S.: Ja, aber das die Realität. Traurigkeit ist nichts schlechtes, sie ist Teil des Lebens. Und viele Lebenssituationen von Kindern sind eben nicht komisch. Dennoch sind Kinder oft grenzenlose Optimisten und glauben an ihre Träume.
S. K.: Daher ist der Film, entgegen einiger Presse-Meinungen, auch nicht traurig, sondern eher aufrüttelnd.
Sie Herr Sittler, haben sich ja allein durch Ihre Vita zwangsläufig viel mit Bildung beschäftigen müssen, waren an acht verschiedenen Schulen. Hat sich der Weg zur Schule für Sie immer gelohnt?
W. S.: Mhm, naja. Am Ende hatte ich auch wirklich keine Lust mehr. Doch wenn ein, zwei gute Lehrer dabei sind, dann passt das schon. Ich halte nichts vom Starren auf ein 1,0 Abitur. Man muss auf die Kinder schauen, nicht auf die Evaluation. Der Nachteil bei mir war allerdings, dass ich nie Zeit hatte, lange Freundschaften aufzubauen. Ich habe nicht so wirklich ein Gefühl von Heimat. Das ist schade. Meine Heimat liegt in mir. Aber man kann nicht alles haben.
Interview: Annika Ross, Fotos: Schneegans Productions, ZDF