© Suse Lübker
Frau Wilhelm, Sie sind seit dem 1. November 2018 die neue Frauenbeauftragte in Bremen – wie steht es im kleinsten Bundesland um die Gleichstellung?
Gleichstellung spielt in Bremen eine wichtige Rolle, es gibt eine große Sensibilität für das Thema. Das merkt man in den öffentlichen Debatten zum Beispiel daran, wie Werbung wahrgenommen wird. Die ZGF hat einen guten Ruf, das hat natürlich viel mit Frau Hauffe zu tun – sie war hier 23 Jahre lang Landesfrauenbeauftragte. Was die Gleichstellungsthemen im öffentlichen Diskurs angeht, läuft in Bremen deutlich mehr als beispielsweise in Baden-Württemberg.
Dennoch brauchen wir hier eine Gleichstellungsbeauftragte?
Oh ja. Und da kann ich Ihnen viele strukturelle Baustellen nennen, aber bestes, weil derzeit allen bekanntes Beispiel, ist die #metoo-Debatte: Erst durch den gesellschaftlichen Diskurs wird öffentlich, wie viele Frauen sexuelle Belästigung erlebt haben und erleben. Dadurch steigt der Bedarf an Beratung.
Wo ist der Handlungsbedarf besonders groß?
Ich bin ja noch nicht einmal 100 Tage hier und noch dabei mir einen Überblick zu verschaffen. Das Thema Rollenzuschreibung über die Medien ist sehr, sehr wichtig. Die Sensibilisierung für Geschlechterrollen ist ein Dauerbrenner, so beim Spielzeug: Was da gerade auf dem Markt passiert, diese Wiederzuordnung zu Geschlechtern habe ich für längst überholt gehalten. Zum Beispiel Lego: Hier gibt es die Trennung der Welten – Feen oder Fantasy – und die einzelnen Welten sind nicht kompatibel. So wird ein Rollenverständnis geprägt. Warum? Weil man mal eben den Markt verdoppelt. Warum braucht es Klebstoff aus einer blauen und einer rosa Tube? Nur deshalb, damit ich, wenn ich zwei Kinder habe, zwei Klebstoffe kaufe. Das ist eine fatale Entwicklung! Auch bei Kinderbüchern ist die Trennung nach Mädchen und Jungs viel stärker als noch vor Jahren. Dafür müssen wir Eltern sensibilisieren, und wir müssen auch auf Firmen und Geschäfte zugehen.
Können betroffene Frauen sich direkt an Sie bzw. an die ZGF wenden, zum Beispiel, wenn sie im Beruf diskriminiert werden?
Wir sind für das Land Bremen Anlauf- und Beschwerdestelle, wenn eine Frau sich wegen ihres Geschlechts diskriminiert fühlt. Wir sind eine Erstanlaufstelle: wir schauen, in welcher weitergehenden Beratung die Frau richtig aufgehoben ist. Derzeit haben wir viele Anfragen
gerade zum Thema sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Unsere Rolle ist es, die spezifischen Interessen und Bedarfe von Frauen und Mädchen in die Politik und Verwaltung zu transportieren. Unsere Arbeit findet vielfach hinter den Kulissen statt: Wir arbeiten an Senats- und Deputationsvorlagen, sind an Gesetzesvorhaben beteiligt und wir initiieren auch Modellprojekte, beispielsweise wenn es um Alleinerziehende geht.
Wir arbeiten zum Beispiel seit vielen Jahren mit der Beratungsstelle „Frauen in Arbeit und Wirtschaft e.V.“ zusammen und setzen uns für das Projekt „Perspektive Wiedereinstieg“ (Programm für den beruflichen Wiedereinstieg, Anm. d. Red.) ein. Wir sorgen dafür, dass solche Projekte zustande kommen und dass Themen in den politischen Fokus kommen und umgesetzt werden. Hier können wir oft nur Dinge anstoßen und dafür sorgen, dass sie in den jeweiligen Ressorts auch bearbeitet werden.
Der berufliche Wiedereinstieg ist ja ein ganz wesentliches Thema gerade für Mütter. Wie können Sie Frauen dabei unterstützen, dass sie nach der Familienzeit zurück in den Beruf kehren und angemessen honoriert werden?
Der Wiedereinstieg sollte nicht zu lange dauern, damit die Frauen sich nicht zu weit von dem konkreten Arbeitsplatz entfernen. Unternehmen müssen sich darum kümmern, dass sie zu den Mitarbeiterinnen Kontakt halten, dass die Frauen an Fortbildungen und Qualifizierungen teilnehmen, auch wenn sie in Elternzeit sind. Wichtig sind auch Teilzeitangebote. Beispiel Alleinerziehende: Gerade sie brauchen Angebote, und sie suchen oft Teilzeitstellen. Aber auf 100 Alleinerziehende kommen in Bremen nur 13 Teilzeitstellen. Und dann muss es natürlich möglich sein, diese Teilzeitstellen wieder aufzustocken. Hier brauchen wir einen Arbeitsmarkt, der flexibel agiert, verschiedene Arbeitszeitmodelle anbietet und die Möglichkeit bietet, wieder zurückzukommen und den Anschluss erst gar nicht richtig zu verlieren. Große Unternehmen können sich durchaus Gedanken machen, wie Fehlzeiten überbrückt werden können, z. B. durch Kinderbetreuungsangebote.
Das setzt ja auch voraus, die Partner stärker mit ins Boot zu holen. Das Thema Vereinbarkeit geht ja auch die Männer an …
Natürlich! Zwar sind wir die Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau, aber natürlich kann man das Thema Vereinbarkeit überhaupt nicht lösen ohne die Männer. Das Rollenbild hat sich hier bereits deutlich verändert, Väter wollen heute auch den Alltag ihrer Kinder erleben. Deshalb braucht es auch Teilzeitangebote für Männer. Dazu gehört die Möglichkeit, mal ein paar Monate auszusteigen oder die Arbeitszeit zu reduzieren. Diese Flexibilität müssen die Unternehmen bieten. Und Frauen müssen den Männern Verantwortung für die Familie überlassen. Nicht nur im Urlaub oder auf dem Spielplatz, sondern im Alltag des Kindes – das ganz normale Programm eben.
Frau Wilhelm, wir danken Ihnen für das Gespräch!
Das Gespräch führte Suse Lübker